Lindner fordert "wirtschaftliche Trendwende" für das abstiegsbedrohte Deutschland
Published: Saturday, Apr 27th 2024, 18:00
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FDP-Chef Christian Lindner hat die Koalitionspartner aufgefordert, den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands in den Mittelpunkt ihrer Koalitionsarbeit zu stellen. Auf dem Bundesparteitag in Berlin warnte er vor einem Niedergang des Landes mit negativen Folgen für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. "Wenn ein Land in zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 22 in der Wettbewerbsfähigkeit abrutscht, was ist dann dringender als eine Trendwende?", sagte er am Samstag vor mehr als 600 Delegierten. "Denn unser Ziel muss es sein, in den nächsten Jahren von Platz 22 an die Weltspitze zurückzukehren." Lindner wurde immer wieder von Applaus unterbrochen. Am Ende feierten ihn die Delegierten dreieinhalb Minuten lang.
Lindner ist weitgehend vorsichtig mit Ampelpartnern
Lindners Rede war mit Spannung erwartet worden, nachdem die Vorschläge der FDP zur Ankurbelung der Wirtschaft durch Steuersenkungen und Kürzungen bei den Sozialleistungen vor allem die SPD verärgert hatten. Im Vorfeld des Bundesparteitages hatte der FDP-Vorstand einen Zwölf-Punkte-Plan "zur Beschleunigung der konjunkturellen Wende" beschlossen. Dies heizte die Spekulationen an, ob die Ampelkoalition aufgrund der sehr unterschiedlichen Positionen von SPD, Grünen und FDP Bestand haben würde.
Lindner machte jedoch in seiner mehr als einstündigen Rede an mehreren Stellen deutlich, dass er die Koalition nicht vorzeitig beenden, sondern zum Erfolg führen wolle. Immer wieder griff er die CDU/CSU an. Seine Partei hatte bei der letzten Bundestagswahl 11,5 Prozent der Stimmen erhalten und liegt jetzt in den Umfragen nur noch bei 5 Prozent. Damit wäre nicht einmal der Wiedereinzug in den Bundestag gesichert - kein guter Zeitpunkt, die Reißleine zu ziehen und die Ampel kippen zu lassen.
FDP will Aufschwung zur zentralen Aufgabe machen
Die FDP setzt nun voll auf wirtschaftliche Kompetenz, den Erhalt des Wohlstandes und Chancen für Leistungsträger und Talente: "Wir haben wirklich die Köpfe. Wir haben das Know-how, wir haben das Kapital, aber unser Land steht sich zu oft selbst im Weg", sagte Lindner. Und er beschrieb einen peinlichen Moment auf der internationalen Bühne: Bei einem Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure aus 190 Ländern in der vergangenen Woche wurde eine Folie zum schwachen globalen Wachstum mit einer Straßenszene aus der Berliner Friedrichstraße illustriert.
Eine wirtschafts- und wachstumsfreundliche Politik sei auch ein "Gebot der sozialen Gerechtigkeit", betonte Lindner. Zudem werden Menschen, die sich vom Abstieg bedroht fühlen oder das Gefühl haben, dass andere leichter vorankommen als sie selbst, die demokratischen Rahmenbedingungen, die zu dieser Entwicklung geführt haben, kritisch hinterfragen. "Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratieförderungsgesetz, das man haben kann."
Kubicki schießt zurück auf SPD und Grüne
Der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki forderte die Ampelpartner SPD und Grüne auf, über das FDP-Konzept für eine Wirtschaftswende zu diskutieren. "Ich kann von hier aus nur einen dringenden Appell aussprechen: Gehen Sie mit uns in Gespräche. Denn wenn es keine Gespräche gibt, wird es keine Zukunft für diese Koalition geben." Die FDP hat dazu ein Papier vorgelegt. "Daraus muss etwas folgen, weil es wirklich um das Land geht." Wenn die Grünen erklärten, sie würden es einfach zu den Akten legen und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte, sie würden nicht einmal darüber reden, "dann haben wir ein grundsätzliches Problem".
Das Aufbrechen der bei vielen in der FDP-Basis unbeliebten Ampelkoalition war auf dem Parteitag allerdings kein Thema. In der Debatte zu Lindners Rede forderte nur ein Delegierter "Raus aus der Ampel" - Beifall bekam er dafür nicht.
Kritik am grünen Minister Paus
Die Kritik der FDP an einzelnen Ampel-Projekten ging nicht über das übliche Maß hinaus. So griff Lindner einmal mehr das Konzept der Kindergrundsicherung von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) auf und kritisierte, dass dafür bis zu 5.000 zusätzliche Stellen geschaffen werden müssten - eine Zahl, die sie selbst bereits relativiert hatte. Und nach einer von ihrem Ministerium in Auftrag gegebenen Studie würden bis zu 70.000 Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, weil sie keinen Anreiz mehr hätten, zu arbeiten, sagte er. Lindner plädierte dafür, das Geld anders zu investieren: "Wäre es nicht besser, diese Milliarden in mehr und bessere Qualität der Kinderbetreuung zu investieren, damit niemand gegen seinen Willen in Teilzeit bleibt, weil er seine Kinder gut betreut weiß?"
FDP nimmt von der Leyen in die Pflicht
Der FDP-Vorsitzende machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) für die übermäßige administrative Belastung der Unternehmen verantwortlich. "Der bürokratische Stress hat einen Vornamen: Ursula." Bundesjustizminister Marco Buschmann schloss sich dieser Meinung an: "Ich kann Bürokratie im Bundesrecht nicht so schnell abbauen, wie Ursula von der Leyen sie produziert", sagte er.
Die europäische Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann machte von der Leyen für die Probleme der Unternehmen in der EU und für die militärische Schwäche verantwortlich. "Im IHK-Wirtschaftsbarometer zur Europawahl gaben nur fünf Prozent der deutschen Industrieunternehmen an, dass die EU in den letzten fünf Jahren als Standort attraktiver geworden sei", sagte sie. "Wie kann man sich nach einem solchen Misstrauensvotum für unsere Wirtschaft einfach zur Wiederwahl als Kommissionspräsident stellen wollen?"
Lindner will die Bundeswehr nicht auf Pump weiter ausbauen
Der Bundesfinanzminister sagte der Ukraine weitere deutsche Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zu. Dies liege auch im eigenen Interesse Deutschlands, sagte er. "Wir unterstützen die Ukraine, weil sie unsere erste Verteidigungslinie gegen Putin ist." Kreml-Chef Wladimir Putin habe die Ukraine angegriffen - "aber er meint uns alle und unsere Lebensweise". Lindner warnte: "Putins Ziel ist nicht die Ukraine. Putins Ziel ist es, Macht über uns ausüben zu können. Und das darf ihm niemals gelingen."
Es ist notwendig, die eigene Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung zu verbessern. Der 100-Milliarden-Sonderfonds für die Bundeswehr wird in wenigen Jahren aufgebraucht sein, dann müssen die Streitkräfte aus regulären Mitteln aufgerüstet werden. Mit immer mehr Schulden wird das nicht zu schaffen sein. Die Aufgabe, Frieden und Freiheit in Deutschland, Europa und der Welt zu verteidigen, sei eine potenzielle Aufgabe für Jahrzehnte und Generationen, sagte Lindner. "Und deshalb ist sie nicht auf Pump zu bewältigen. Wir brauchen dazu unsere wirtschaftliche Stärke."
©Keystone/SDA