Di, 30. Januar 2024
"Wenn alles verloren ist, gibt es immer einen Anwalt, den man anrufen kann,” schreibt Nicola Lagioia in seinem Roman "Die Stadt der Lebenden". Es gibt viele Momente, in denen kein Anwalt von Nutzen ist. Das ist dann der Fall, wenn die öffentliche Schande überhand nimmt und Ihr Ruf ruiniert ist. Woody Allen kann ein Lied davon singen. Sein Tonfall - der in seiner Autobiografie deutlich zum Ausdruck kommt - wird überhaupt nicht gehört. Die Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA kein gutes Bild in der Fall Credit Suisse und kämpft um sein Ansehen und seine Akzeptanz; viele Parlamentarier gehören zu denjenigen, die das Scheitern mitentwickelt haben, einige von ihnen sitzen jetzt im PUK (Parlamentarische Untersuchungskommission - Anm. d. Red.), die die Angelegenheit untersucht. Viele Politiker und Lobbyisten wollten bewusst eine schwache FINMA und haben sie bekommen. Man tut also gut daran, die Erwartungen an diesen Bericht tief zu halten - konkret geht es auch um Macht und Deutungshoheit, verbunden mit dem Druck, das Versagen des Parlaments zu rechtfertigen.
Jetzt will die FINMA mehr Kompetenzen - obwohl sie eigentlich schon viele hat, die sie nur noch nicht genutzt hat. Es ist offensichtlich, dass sie kämpferisch, mutig und hartnäckig sein will. Und es mag verständlich sein, dass sie gerne mehr Banken und Einzelpersonen benennen würde. Es ist auch verständlich, dass sie Bußgeldbefugnisse fordert: okay, aber das ist etwas, das erst ins Spiel kommt, wenn "es" schon passiert ist. Ich glaube nicht, dass die Befugnis, Bußgelder zu verhängen, eine besonders abschreckende Wirkung hätte - es sei denn, sie ist mit der Nennung der sanktionierten Person verbunden.
Der Hauptpunkt meiner Kritik ist, dass die FINMA vom "Gewährserfordernis" (Bewilligungsvoraussetzung: Die mit der Verwaltung und Führung der Bank betrauten Personen müssen einen guten Ruf geniessen und Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung bieten) und der Möglichkeit, darauf basierende Beurteilungen, Empfehlungen und Urteile konsequent zu formulieren, keinen Gebrauch gemacht hat. Ihre Vorgängerbehörde, die EBKDie Kommission hat dies ab etwa 2001 für einzelne Personen getan. Sie ging gegen Bürgen vor ("Montesinos" Fall, Entlassung des Bankdirektors). In dem betreffenden Urteil schreibt er (was er in anderen Urteilen mehrfach wiederholt hat) über die Organisationspflichten:
"Zu einer angemessenen Organisation gehört u.a. ein ausgefeiltes Weisungswesen mit klaren Zuständigkeits-, Weisungs- und Verhaltensregeln. Die Bank muss sicherstellen, dass die von ihr erlassenen Weisungen und Richtlinien umgesetzt und eingehalten werden". Ferner wurde festgestellt, dass der Generaldirektor der Bank für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Organisation verantwortlich ist, die den gesetzlichen Bestimmungen entspricht und die ordnungsgemäße Abwicklung der Bankgeschäfte gewährleistet. Dieser zentralen Aufgabe sei er nicht nachgekommen.
Die unzähligen Skandale bei der Credit Suisse zeugen davon. Und alle Verantwortlichen in der Hierarchie blieben auf ihren Plätzen. Niemandem wurde von der FINMA gesagt, er müsse gehen. Die EBK tat dies 2008 in einem Gespräch mit Marcel Ospel. Bei der Credit Suisse hätte die FINMA schon längst auf die gleiche Weise intervenieren müssen. Die Behörde verzichtete unverständlicherweise auf die Instrumente, die der Garantiestandard bietet, und nutzte sie nicht. Die Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung der Credit Suisse konnten dies in ihrem Verhalten bereits "einpreisen" - dank jahrelanger Erfahrung.
Die Forderung der FINMA nach dem obersten Führungssystem ist im Zusammenhang mit der Bussenkompetenz zu sehen. Angesichts der Tatsache, dass die Aufsichtsbehörde schon vor Jahrzehnten klare Erwartungen an die Organisation und die klare Regelung von Kompetenzen und Verantwortlichkeiten geäussert hat, erstaunt es mich, dass sie diese erst jetzt einfordert. In Großbritannien gibt es diese Regelung für Banken seit März 2016. Die Debatte darüber begann bereits 2012. Und unsere Parlamentarier wollen tatsächlich auf den PUK-Bericht warten.
Und dann?
(Dieser Artikel wurde zuerst in der Luzerner Zeitung am 23.01.24 veröffentlicht)
Prof. Dr. iur. Advokatin Monika Roth ist eine renommierte Professorin und selbständige Juristin sowie Studienleiterin/Dozentin des DAS Diploma of Advanced Studies Compliance Management am IFZ Institut für Finanzdienstleistungen Zug und Dozentin in verschiedenen anderen Lehrgängen. Sie hat zahlreiche Bücher über das Geldsystem, Corporate Governance und Banken-Compliance veröffentlicht. Ihre Website ist zu finden unter https://www.roth-schwarz-roth.ch/. Ihre jüngste Schrift ist "Der Schutz des öffentlichen Ansehens des Gemeinwesens durch loyale und integre Amtsführung", in der Publikation "Rechtsschutz in Theorie und Praxis", Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022.