Wie Schweizer Unternehmen zu Opfern des europäischen "Krieges gegen die Elektrizität" wurden

Wie Schweizer Unternehmen zu Opfern des europäischen "Krieges gegen die Elektrizität" wurden

Mi, 7. Sep. 2022

SRF Schweizer Radio und Fernsehen untersucht diese Woche, wie Schweizer Unternehmen den Preis für die drohende Energiekrise in Europa zahlen und wie einige Unternehmen die Dinge selbst in die Hand nehmen.
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Eine Kläranlage in Thun rechnet mit einem Preisaufschlag von 600 Prozent, der letztlich auf die Einwohner umgelegt wird.

Der "Krieg der Elektrizität" hat begonnen.

Die Strompreise in ganz Europa schießen in die Höhe, so dass die großen Unternehmen gezwungen sind, ihre Bestände auf dem freien Markt aufzustocken, während die kleineren Unternehmen um die letzten Reste kämpfen müssen.

Ein Aufschlag von 600 Prozent auf den Strompreis

Das spüren auch öffentliche Versorger wie die ARA Thunersee, die in der Region Thun/Berner Oberland die Abwässer von 37 Gemeinden und über 120'000 Personen reinigt. Das Abwasserunternehmen sagt, dass sie in naher Zukunft satte 600 Prozent mehr für Strom bezahlen werden.

"Wir sind in der unglücklichen Situation, dass unser alter Stromliefervertrag gerade ausgelaufen ist und wir nun auf dem freien Markt einkaufen müssen", sagt Stephan Oberli , Betriebsleiter ARA Thunersee.

Deshalb steigen die Kosten für die ARA Thunersee ins Unermessliche: Für den Strom muss das Unternehmen im Jahr 2023 3,7 Millionen Franken mehr ausgeben als in diesem Jahr, die Nettobetriebskosten steigen also von knapp fünf auf fast 9 Millionen Franken. Davon sind auch die Gemeinden betroffen, die ihr Abwasser auf der ARA Thunersee reinigen lassen.

"Wir dürfen keine Reserven anhäufen und müssen die höheren Kosten bei den Gemeinden einfordern", erklärt Oberli.

So muss die Gemeinde Wimmis neu 30 Franken pro Einwohner zusätzlich für die Abwassergebühren bezahlen. Die Preiserhöhung bei der ARA Thunersee spürt die Bevölkerung aber noch nicht direkt, da die Gemeinde Wimmis die Preiserhöhung noch aus Reserven decken kann.

Das Sägewerk Olwo erwägt, die Arbeitszeit und die Stromkosten zu senken.

Warum ein Schweizer Sägewerk in Schwierigkeiten steckt

Die explodierenden Strompreise machen auch Olwo, der grössten Sägerei im Kanton Bern, zu schaffen. An seinen drei Standorten verbraucht das Unternehmen jährlich so viel Strom wie 1'100 Vier-Personen-Haushalte. Als Grossverbraucher kauft Olwo den Strom auf dem freien Markt.

"Lange Zeit haben wir uns auf das 'Prinzip Hoffnung' verlassen und geglaubt, dass der Wahnsinn auf dem Strommarkt bald aufhört", sagt Geschäftsführer Markus Lädrach. Deshalb wurden die Stromkäufe lange aufgeschoben. Jetzt beziehen die Unternehmen den Strom nur noch in Tranchen. Trotzdem rechnet das Unternehmen mit Mehrkosten von mehreren 100'000 Franken pro Standort.

Überwindung der Stromkrise

Der hohe Strompreis trifft Olwo hart, obwohl das Sägewerk bereits vor zehn Jahren eine große Solaranlage mit 5.400 Panels installiert hat. Geschäftsführer Lädrach denkt nun über neue Arbeitsmodelle nach, um die firmeneigenen Solaranlagen möglichst effektiv zu nutzen.

"Wir sollten die meiste Arbeit machen, wenn wir die meiste Sonnenenergie haben", sagt Lädrach. Außerdem erwägt er, nur an vier statt an fünf Tagen Holz zu schlagen.

Die Gewährung von Härtefalldarlehen ist eine Angelegenheit des Bundes, nicht der Kantone, so die Behörden.

Sind Härtefallregelungen die Lösung?

Die Strompreisexplosion führt bei einigen Unternehmen zu existenziellen Problemen.

"Es herrscht eine gewisse Ohnmacht, weil es kein Allheilmittel gegen die aktuelle Entwicklung gibt", sagt Daniel Arn, Präsident des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern.

Einige Unternehmen haben wahrscheinlich noch nicht begriffen, was diese Entwicklung für ihre Bilanzen bedeutet. Die Härtefallregelungen, die während der Covid-19-Pandemie gewährt wurden, könnten Branchen davor bewahren, in Scharen in Konkurs zu gehen und damit die Wirtschaft in Schwierigkeiten zu bringen.

"Es braucht ein temporäres Netz, um den Preisschock von 2023 abzufedern", sagt Lädrach, der diesbezügliche Anfragen an die kantonalen Behörden gerichtet hat.

Der Berner Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann entgegnet, dass mindestens ein paar Dutzend Unternehmen im Kanton Bern es versäumt haben, rechtzeitig Stromverträge zu unterzeichnen.

"Es ist ein unternehmerisches Risiko, das Sie eingegangen sind", sagt Ammann und fügt hinzu, dass der Kanton selbst keine Wirtschaftshilfe leisten kann. Es sei der Bund, der die Pandemiekredite bewillige und verteile. Andernfalls könnte die Wirtschaftshilfe landesweit sehr unterschiedlich ausfallen, so dass ein "kantonaler Flickenteppich" entstünde, sagt Ammann.

Dieser Artikel ist nachgedruckt von SRF.

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