Die Schweizer Armee braucht Wachstum und mehr Ausrüstung

Die Schweizer Armee braucht Wachstum und mehr Ausrüstung

Mo, Dez 4. 2023

In der Schweizer Armee braucht es mehr Waffen und Soldaten, um die Landesverteidigung sicherzustellen, aber es fehlt an mutigen Politikern.

Von Prof. Dr. Christoph Mörgeli, Weltwoche, Vorstandsmitglied der Pro Schweiz
Swiss Military Infantry Training
Schweizer Infanterieausbildung

Als Chef des Einsatzführungskommandos muss Korpskommandant Laurent Michaud die Bereitschaft der Armee sicherstellen und deren Einsätze planen und führen. Anders als Armeekommandant Thomas Süssli kommt der ehemalige Ausbildner von Grenadieren und Fallschirmjägern aus der Kampftruppe. Deshalb gilt der direkte, robuste Waadtländer als die starke Figur in der Armeehierarchie neben der eher politisch orientierten Galionsfigur Süssli. An der Generalversammlung der Schweizerischen Militärischen Gesellschaft (VMG), dem Zusammenschluss von über dreissig militärischen Vereinen und Gesellschaften, wurde Michauds Vortrag über die Schweizer Armee am vergangenen Samstag in Bern mit Spannung erwartet.

Die gute Nachricht ist, dass die Armee die Zeichen der Zeit erkannt hat. Sie nimmt die Rückkehr des Krieges in Europa zum Anlass, die Verteidigungsfähigkeit des Landes endlich wieder zu stärken. Dieser Kernauftrag gilt für alle Tätigkeitsbereiche: Boden, Luft und Cyberspace. Um das unangenehme Wort "Aufrüstung" zu vermeiden, sprach Korpskommandant Michaud von einer "Aufstockung" der Bestände und Kosten von rund 13 Milliarden Franken in einer ersten Tranche bis Anfang der 2030er Jahre. Ermöglicht werden soll dies durch die von Bundesrat und Parlament bereits beschlossene Budgeterhöhung auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Zu beachten ist, dass das von der Armeeführung im August vorgelegte "Schwarzbuch" noch nicht von der Landesregierung diskutiert und verabschiedet wurde.

Verlust von Führungsqualitäten

Laut Laurent Michaud besteht das Ziel darin, Lücken schnell zu schließen. Die Schweiz Militär muss auf die gefährlichste Bedrohung vorbereitet sein und nicht auf die wahrscheinlichste. Nach dem heutigen Armeekonzept steht der Zivilschutz, das Helfen und Retten, im Vordergrund, und unsere Soldaten beherrschen diese Aufgaben gut.

Enormer Handlungsbedarf besteht jedoch bei der "Gefechtstauglichkeit". Unsere Armee mit dem "Bürgersoldaten im Zentrum" muss in der Lage sein, einen Zweikampf zu gewinnen, mit Gewalt und deren Auswirkungen umzugehen, langfristig zu mobilisieren und sich zu verteidigen. Zu diesem Zweck sollen wieder gemeinsame Übungen der großen Verbände durchgeführt werden, wobei die Hierarchieebenen unter Druck trainiert werden. Unter dem Motto "Von und mit anderen lernen" äußerte der Einsatzleiter eine eher internationalistische Sichtweise: Gemeinsame Übungen mit ausländischen Truppen und "Interoperabilität" würden in Zukunft "Handlungsfreiheit garantieren". Was durchaus auch andersherum gesehen werden könnte: Sobald ausländische Kommandozentralen führen, verliert die eigene Armee an situativer Führungskompetenz.

Die Rückbesinnung auf die Kernaufgabe der Verstärkung der Verteidigungsarmee kommt keinen Augenblick zu früh. Nur zehn der derzeit siebzehn Infanteriebataillone sind vollständig ausgerüstet, und nur zwei der drei mechanisierten Brigaden verfügen über Kampfpanzer. Anstatt die Bestände aufzustocken, hat der Bundesrat 25 einsatzbereite Leopard-2-Panzer ausgemustert, um sie ins Ausland zu verkaufen. Bei der Artillerie sollen die fünfzig Jahre alten Panzerhaubitzen durch ein modernes Mittelstreckensystem aus Schweden oder Deutschland ersetzt werden. Zur Modernisierung des Luftverteidigungssystems wurde die Beschaffung moderner bodengestützter Luftverteidigungsanlagen (Bodluv) des amerikanischen Typs Patriot, die die Raketen und Radare vernetzen, genehmigt.

F/A-18 from the Swiss Airforce (2014)
F/A-18 der Schweizer Luftwaffe (2014)

In einer Volksabstimmung wurde der Kauf von 36 Kampfflugzeugen des Typs F-35A bestätigt. Die Schweizer Luftwaffe führt nun routinemässig Nacht- und Tiefflugtrainings im Ausland durch, bald auch in Grossbritannien. Im Bereich der Aufklärungsdrohnen besteht aufgrund von Verzögerungen und Pannen bei den israelischen Lieferanten eine erhebliche Lücke. Die bei der Umsetzung der Armee XXI eilig zentralisierte Logistik und Infrastruktur muss so schnell wie möglich und mit erheblichem Aufwand wieder dezentralisiert werden.

12.000 Stellen, 56 Generäle

Das grösste Problem für die Schweizer Armee sind jedoch die Zahlen. Im Jahr 2030 werden maximal noch 120'000 statt der vorgesehenen 140'000 Soldaten im Einsatz stehen. Davon wären nur noch 21'000 kampffähig, eine Zahl, die ins Berner Wankdorfstadion passen würde. Statt mindestens 6'000 zivile Wehrpflichtige pro Jahr sind es heute nur noch 2'800.

Das heutige Zivildienstmodell schafft eine attraktive Wahlfreiheit für junge Männer, was gegen die geltende Bundesverfassung verstösst, die besagt: "Jeder Schweizer ist zum Militärdienst verpflichtet: "Jede Schweizerin und jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten." Weil das Gesetz aber einen Zivildienst vorsieht, verliert die Armee jedes Jahr rund 7000 diensttaugliche Männer, was einer ganzen Brigade entspricht. Statistisch gesehen haben etwas mehr als 1000 von ihnen einen echten Gewissenskonflikt. Der Rest wählt den weitaus lockereren Zivildienst, um seine berufliche und private Lebensplanung zu optimieren. Im Ergebnis gibt es heute eine "Schattenarmee" von 55.000 Zivildienstleistenden. Sie alle fehlen nicht nur in der Armee, sondern auch in den militärischen Verbänden, die die Idee des Militärdienstes und des Milizsystems in der Gesellschaft am Leben erhalten.

Bevor sich die Politik daran macht, das aktuelle Dienstpflichtmodell umzugestalten und über einen obligatorischen Sicherheitsdienst zu diskutieren, sollte sie sich mit der Revision des Zivildienstgesetzes befassen. Die Mittepartei trägt eine grosse Verantwortung für die Defizite, da sie sich in der Sommersession 2020 einstimmig gegen die dringend notwendige Verschärfung der Wehrpflicht ausgesprochen hat. Wie sollen die Militärkommandanten angesichts der bequemen Alternative anstrengende Übungen, wochenlangen Zivildienst und im Falle von Befehlsverstößen Haft und Geldstrafen von ihren Untergebenen erzwingen? Auch ein Bataillonskommandant wies in der NZZ auf das Trittbrettfahrerproblem hin: "Wer würde sich im Konfliktfall überhaupt melden? Würden sie sich nicht alle für den Zivildienst melden? Mit welcher moralischen Rechtfertigung könnten wir Kommandanten die verbleibenden Wehrpflichtigen in lebensgefährliche Einsätze beordern?"

Die Rückbesinnung auf die Kernaufgabe der Stärkung der Verteidigungsarmee kommt nicht von ungefähr.
Moment zu früh.

Politischer Wille

Doch weder der Gesamtbundesrat noch das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) scheinen die wachsenden Probleme ernst genug zu nehmen. In einer Kurzschlussreaktion beschloss die Landesregierung Anfang des Jahres eine kurzfristige Sparmassnahme von 1,6 Milliarden Franken für die Armee. Damit weicht sie vom parlamentarischen Ziel vom Mai 2022 ab, das Armeebudget schrittweise von heute rund 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts auf mindestens 1 Prozent ab 2023 bis spätestens 2030 zu erhöhen.

Das war ein völlig falsches Signal - zum Nachteil der Armee. Die Vorsteherin des VBS, Viola Amherd (Mitte), unterwirft sich bereitwillig den Sparmassnahmen von Karin Keller-Sutter (FDP) auf Kosten der Verteidigungsfähigkeit der Schweiz. Heute ist die Schweiz bei den Verteidigungsausgaben pro Kopf das Schlusslicht in Europa, mit Ausnahme des Vatikans. Schlimmer noch: Trotz der Kriegssituation in Osteuropa wollte Amherd auf Druck der Linken die Armee um 7'000 Angehörige reduzieren. Zum Glück ist sie im Bundesrat am 1. November dagegen angetreten.

Im Gegensatz zur Schweizer Armee hat der Personalbestand des VBS stetig zugenommen und umfasst heute 12'130 Mitarbeitende. Nicht weniger als 56 Generäle befehligen oder führen die schrumpfenden Streitkräfte. Das ist die gleiche Anzahl wie bei der Armee XXI, die fast doppelt so gross ist. Eine vom Departementsvorsteher eingesetzte 25-köpfige Studienkommission arbeitet am grünen Tisch an der künftigen Sicherheitspolitik. Wohin die Reise geht, zeigt das Engagement der grünen Nationalrätin Marionna Schlatter, die mit den Armeeabschaffern gegen die Anschaffung neuer Kampfjets kämpfte ("Kalter Krieg war gestern"). Inzwischen ist Marco Jorio einer der prominentesten Kritiker der dauernden bewaffneten Neutralität.

Das neu geplante Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (Sepos) entpuppte sich als personelle, strategische und strukturelle Katastrophe. Die damit verbundene teure Bürokratie wird weder für die Landesverteidigung noch für die Milizarmee von Interesse sein. Toni Eder (Mitte), ein Oberstleutnant der Armee, wurde im Amt des Generalsekretärs des VBS durch Daniel Büchel ersetzt, der zwar ein Parteibuch der Zentrumspartei besitzt, aber nie einen militärischen Beförderungskurs absolviert hat. Seine Frau Kerstin Büchel, seit 2007 Schweizer Staatsbürgerin und ehemalige Kandidatin der Mitte für den Nationalrat, war Generalsekretärin der Verwaltungsratspräsidenten der Schweizerischen Post, Claude Béglé und Urs Schwaller (beide Mitte). Sie gehörte zu den Empfängern des vertraulichen Vermerks aus dem Jahr 2013, wonach die Konzernleitung bereits damals über nicht konforme Transfers von 30 Millionen Franken bei der PostAuto Schweiz AG informiert worden war.

Klimaschutz und Feminisierung

Viola Amherd wollte sich mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz, vor allem aber mit der Feminisierung der Armee profilieren. Ihre Parteikollegin Brigitte Hauser-Süess, ehemalige Präsidentin der CVP-Frauen und ausgebildete Lehrerin für Bürothemen, steht wie ein Schatten hinter ihr. Sie hat bei jedem wichtigen Personalentscheid ihre Finger im Spiel.

Der gebürtige Finne Pälvi Pulli verfolgt als Chef der Sicherheitspolitik einen dezidierten Kurs der Annäherung an die NATO. Michaela Schärer hat 2021 die Leitung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz von einem Divisionsoffizier übernommen; sie hat nie im Militär gedient. Und Amherd hätte sich wohl keine Bessere für die Nachfolge an der Spitze der Armee gewünscht als die Oberwalliser Divisionskommandantin Germaine Seewer, wenn sie altersmässig noch in Frage käme.

Kurzum: Es gibt zu viel Politik und zu wenig Militär, zu viele Schreibtische und zu wenig Schiessplätze, zu viel VBS und Bürokratie und zu wenig Armee. Leider ist es Bundesrätin Viola Amherd trotz der Rückkehr des Krieges in der Ukraine und im Nahen Osten nicht gelungen, sich der Schweizer Bevölkerung als vertrauenswürdige Verteidigungsministerin mit starken Führungsqualitäten zu präsentieren. Genau das hätte ihr deutscher Amtskollege Boris Pistorius (SPD) vorgelebt. Es ist nicht so, dass Amherd dies nicht getan hätte. Schlimmer noch: Sie hat es nicht einmal versucht.

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